BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
§ 119 Anfechtbarkeit wegen Irrtums (Regelung seit 01.01.2002)
(1) Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde.

(2) Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.
Franz-Anton Plitt
 (Internet entrepreneur)
 Chisinau
 (Moldova)


Stand: 27.01.2005
I. Allgemeines

Befand sich der Erklärende bei Abgabe seiner Willenserklärung im Irrtum, so gibt ihm § 119 die Möglichkeit, diese unter bestimmten Umständen anzufechten.

Bei der Prüfung hat zunächst eine genaue Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB zu erfolgen.

Wird durch die Auslegung ermittelt, dass sich die abgegebenen Erklärungen gar nicht decken, besteht ein (offener = § 154 oder verdeckter = § 155) Dissens und ein Vertrag ist zwischen den Parteien in der Regel nicht zustande gekommen, so dass auch kein Platz für eine Anfechtung ist.

Nur wenn die Auslegung ergibt, dass zwei übereinstimmende Willenserklärungen vorliegen, ist eine Anfechtung denkbar.

Kein Anfechtungsrecht besteht bei einer irrtümlichen Falschbezeichnung, die jedoch von den Parteien richtig, also gleich, verstanden wurde (falsa demonstratio non nocet).


II. Irrtumsarten

Die Vorschrift des § 119 unterscheidet drei Arten des beachtlichen Irrtums. Daneben gibt es auch Irrtümer, die nicht zur Anfechtung berechtigen!

Unter § 119 I fallen Erklärungs- und Inhaltsirrtum, über deren Abgrenzung man Bücher schreiben kann, die letztlich aber nahtlos ineinander übergehen und deshalb eine Abgrenzung zumindest für die Praxis überflüssig macht. Bei diesen beiden Irrtümern gibt es einen Unterschied zwischen dem, was erklärt wurde und dem, was der Erklärende (nicht) erklären wollte.

Bei § 119 II hingegen wurde genau das erklärt, was erklärt werden sollte. Diese irrtumsfreie Erklärung beruhte aber auf einem Vor-Irrtum = Motivationsirrtum des Erklärenden. Dieser ist nur in den hier bestimmten Fällen ein Anfechtungsgrund.


a) Erklärungsirrtum

Unter den Erklärungsirrtum des § 119 I 2. Alt. fallen die Fälle des Versprechens, Verschreibens und Vertuns. Der Erklärende wollte in diesen Fällen überhaupt keine Erklärung mit dem betreffenden Inhalt abgeben.

Hierunter fällt zB. der Fall, dass aufgrund eines Eingabefehlers in eine Internetdatenbank zu einem Produkt ein falscher Preis angegeben wird (invitatio ad offerendum), edr Kunde bestellt und sodann automatisch eine Bestätigungsemail zum angezeigten Preis (Annahme) erfolgt (BGH VIII ZR 79/04 - Urt. v. 26.01.2005).

§ 120 ist übrigens ein Spezialfall hierzu, der (überflüssigerweise) eine eigene gesetzliche Regelung erfahren hat (zB. BGH VIII ZR 79/04 - Urt. v. 26.01.2005).

b) Inhaltsirrtum

Hier erklärt der Erklärende zwar das, was er erklären will, aber er irrt über die rechtliche Bedeutung seiner Erklärung. Beispielsweise irrt sich der Verkäufer über den erklärten zu verkaufenden Gegenstand oder der Käufer über den erklärten Preis.

Der Inhaltsirrtum ist dabei vom grundsätzlich nach § 119 I unbeachtlichen Motivirrtum abzugrenzen.

Die Abgrenzung hat dabei die folgenden Kriterien zu beachten: Beim Inhaltsirrtum decken sich der Wille und die Erklärung nicht. Beim Motivirrtum dagegen decken sich Wille und Erklärung, aber der Erklärende geht irrtümlich von einem falschen Umstand aus, der zur Bildung des Geschäftswillens geführt hat. (Kauf eines Brautkleides – später fällt die Hochzeit aus)

Nachfolgend einige Spezialfälle:

aa. Rechtsfolgenirrtum

Ein Irrtum über die Rechtsfolge einer Willenserklärung berechtigt nur dann zur Anfechtung, wenn sich die Rechtsfolge, über die sich der Erklärende irrt, den Inhalt seiner Erklärung bildet, z.B. bei Verkauf nebst Zubehör bei Irrtum über den Umfang des Zubehörsbegriff. Hingegen berechtigt dieser Irrtum nicht zur Anfechtung, wenn über die gesetzlichen Voraussetzungen eines Rücktrittsrechts geirrt wird (z.B. BGH VIII ZR 199/01 - Urt. v. 10.06.2002) oder die sozialrechtlichen Folgen eines Vertragsschlusses( BAG 9 AZR 401/02 - Urt. v. 10.02.2004).

bb. Kalkulationsirrtum

Bei einem Kalkulationsirrtum irrt der Erklärende über einen Umstand, der seinen Berechnungen zugrunde liegt.

Dieser ist ein unbeachtlicher Motivirrtum, wenn dem Vertragspartner nur das Ergebnis der Berechnungen mitgeteilt wird (sog. verdeckter Kalulationsirrtum).

Fraglich ist, ob dies auch für den offenen Kalkulationsirrtum gilt, bei dem die Kalkulationsgrundlage in die Vertragsverhandlungen aufgenommen wurde und diese für den Vertragspartner erkennbar war.

Zum Teil wird dieser Irrtum einem Inhaltsirrtum gleichgestellt und dem Irrenden ein Anfechtungsrecht gegeben (RGZ 64, 268).

Diese Ansicht wird jedoch von der herrschenden Lehre abgelehnt. Nach dieser Ansicht ist der offene Kalkulationsirrtum ein Unterfall des Motivirrtums, denn er betrifft die Willensbildung und nicht den Erklärungsinhalt (Pal, § 119, Rn.18).


c) Eigenschaftsirrtum

Beim Eigenschaftsirrtum nach § 119 II stimmen Wille und Inhalt der Erklärung überein. Der Erklärende irrt nicht über die Erklärungshandlung oder den Erklärungsinhalt, sondern über Eigenschaften des Geschäftsgegenstandes. Dabei handelt es sich um einen Fall des Motivirrtums, der nur dann beachtlich ist, wenn sich der Erklärende über eine verkehrswesentliche Eigenschaft irrt.

aa. Definition

Eigenschaften einer Person oder Sache sind neben den auf der natürlichen Beschaffenheit beruhenden Merkmalen auch solche tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die nach der Verkehrsanschauung für die Wertschätzung von Bedeutung sind (Pal. § 119, Rn. 24). Verkehrswesentlich sind die Eigenschaften dann, wenn sie vom Erklärenden in irgendeiner Weise erkennbar dem Vertrag zugrunde gelegt wurden.

Formulierungsvorschlag:

" Verkehrswesentliche Eigenschaften sind alle wertbildenden Faktoren, nicht aber der Wert an sich"

bb. Abgrenzungsfragen:

- Problematisch ist das Verhältnis zwischen der Anfechtung nach § 119 II und den Gewährleistungsrechten der §§ 459 ff. (bis 31.12.2001) bzw. 434 ff (seit 01.01.2002) und den übrigen Gewährleistungsrechten, wie im Miet- bzw. Werkrecht, etc.

Die Anfechtung ist dann ausgeschlossen, wenn die verkehrswesentliche Eigenschaft gleichzeitig einen Sachmangel nach den §§ 459 ff./ 434 ff darstellt (zB. BGH V ZR 251/00 - Urt. v. 22.02.2002). Grund dafür ist unter anderm, daß ansonsten zB. die Verjährungsvorschriften des §§ 477/ 438 leer laufen würden, wenn der Käufer bis zu 30/10 Jahren anfechten könnte.

Ebenso besteht für den Verkäufer kein Anfechtungsrecht nach § 119 II, wenn er sich dadurch der Sachmängelgewährleistung entziehen würde.

Hingegen dürfte der Verkäufer ein Anfechtungsrecht nach § 119 II haben, wenn die Sache besser als gedacht ist!

Strittig ist die Frage, ob der Vorrang des Gewährleistungsrechts auch schon vor Gefahrübergang gilt.

Zum alten Recht (bis 31.12.2001) wurde ganz überwiegend vertreten, dass der Käufer vor Gefahrübergang sich (nur) nach § 119 II vom Vertrage lösen könne (was ja eigentlich zur Schadensersatzpflicht des Käufers gem. § 121 führt!).

Zum neuen Recht ist die Diskussion noch unentschieden. Ich meine, dass mind. nach neuem Recht der Vorrang des Gewährleistungsrechts auch vor Gefahrübergang gilt.

- Die c.i.c. ist dagegen neben § 119 unschwer anwendbar (im Gegensatz zu § 123, wo das strittig und kompliziert ist).


III. Rechtsfolgen

Nach Erklärung der Anfechtung nach § 143, die innerhalb der Frist des § 121 erfolgen muss, wird das Rechtsgeschäft rückwirkend (ex nunc) nichtig, § 142 I.

Im Normalfall umfasst der Irrtum und damit die Anfechtungswirkung bei § 119 (anders als bei § 123) nur das Grund- also Verpflichtungsgeschäft, das Erfüllungsgeschäft bleibt somit in der Regel unberührt. In der Prüfung muß man sich das aber genau ansehen, denn natürlich kann man theoretisch auch beim Verfügungsgeschäft irren (Beispiel: Verkäufer will zur Erfüllung des bereits geschlossenen Kaufvertrages übereignen, aber nur unter Eigentumsvorbehalt. Versehentlich wird der Vorbehalt nicht deutlich).

Ausnahmsweise ist jedoch auch das Erfüllungsgeschäft anfechtbar nämlich dann, wenn beide Geschäfte in einem einheitlichen Akt zusammenfallen und der Irrtum auf das Erfüllungsgeschäft durchschlägt. Diese Konstellation tritt vor allem in den Fällen des § 119 II auf.



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Urteile nach 27.01.2005, also nach Abschluss dieser Kommentierung